
«Wir werden sehen, ob es mich plötzlich nicht wieder kitzelt»
Montag, 15 Februar 2021
Südostschweiz Ausgabe vom 13. Februar 2021 von Jürg Sigel
«Wir werden sehen, ob es mich
plötzlich nicht wieder kitzelt»
Nach neun Jahren
ist Leon-Vincent Sarkis nicht mehr Torhüter des EHC Chur. Der 30-jährige
Familienvater beendet seine Karriere.
Gründe für seinen
Rücktritt würde es einige geben, sagt Leon-Vincent Sarkis. Vergangene Woche war
bekannt geworden, dass er seine Eishockeykarriere per sofort beendet. Neun
Saisons hatte er für den EHC Chur das Tor gehütet. «Sarkis hat die Entwicklung
des Stadtklubs auf und neben dem Eis über fast ein ganzes Jahrzehnt
entscheidend mitgeprägt», schrieb der EHC Chur am vorletzten Montag in seiner
Medienmitteilung.
Stets einer der
Besten
Der Zürcher Sarkis
(unter anderem ex-GC, ex-Dübendorf, ex-Wetzikon) hatte auf die Saison 2012/13
hin zu Chur gewechselt. Fünf Jahre liess er mit seinen Paraden die gegnerischen
Stürmer in der 1. Liga verzweifeln, vier Spielzeiten bestritt er in der 2017
gegründeten MSL. Dank seiner Leistungen, aber auch wegen seiner sympathischen
Art neben dem Eis avancierte Sarkis schnell zum Publikumsliebling. Dieser meint
dazu: «Ein Goalie hat es diesbezüglich halt einfacher als ein Verteidiger. Ein
Torhüter, der die Leistungen bringt, hat das Publikum schnell auf seiner
Seite.»
Sarkis war ein
hervorragender Torhüter – in der 1. Liga wohl der beste, in der MSL einer der
stärksten. Und doch schaffte er es nie weiter nach oben, in den Profibereich.
Das strebte er plötzlich auch gar nicht mehr an. Denn der Wechsel zum EHC Chur
veränderte privat einiges im Leben des Leon-Vincent Sarkis. In Chur lernte er
seine Frau kennen, «eine wunderbare Bündner Frau», wie er präzisiert. «So
zeichnete sich früh ab, dass ich in dieser Stadt bleibe. Hier bin ich zu
Hause.»
Mehr als 5000 Fans
im Cup
Sarkis hegte auch
keine Abwanderungsgelüste, als dem EHC Chur vor der Saison 2014/15 der Bankrott
drohte. Sarkis blieb, der Klub erholte sich und stand ein Jahr später einem
Eishockey-Märchen ähnelnd im Ostschweizer Play-off-Final, nachdem im
Viertelfinal Frauenfeld und im Halbfinal das klar favorisierte Dübendorf
jeweils mit 3:0-Siegen bezwungen worden waren. Im Final gegen den späteren
Aufsteiger Winterthur (0:3) war dann die Luft draussen. «Aber gerade die Serie
gegen Dübendorf war etwas vom Schönsten, was ich mit Chur erlebt habe», erzählt
Sarkis. «Und natürlich das Cupspiel am 30. September 2015 gegen die ZSC Lions.»
5027 Zuschauer verfolgten die Partie in der Heimstätte, die damals noch
Hallenstadion hiess. Die Partie ging 2:9 verloren, doch das Resultat war
Nebensache.
Er habe «auch
schwierige Phasen» erlebt, erwähnt Sarkis. Neben den erwähnten finanziellen
Problemen sei an den Beinahe-Abstieg aus der MSL 2018/19 erinnert. Doch 2019/20
präsentierte sich der EHC Chur bereits wieder ganz anders. Die Regular Season
wurde im vierten Rang beendet. Das schnelle Aus in den Play-offs (0:3 in den
Viertelfinals gegen Lyss) war zwar ein Dämpfer, doch Chur hatte sich in der
Kantonshauptstadt wieder in die Herzen der Eishockeyfreunde gespielt. Der
Zuschauerschnitt verbesserte sich von 521 auf 900 deutlich. Sarkis hatte
grossen Anteil daran.
Nur noch zwei
Spiele …
Dann kam Corona,
dieses Virus, und eine abgebrochene MSL-Saison 2020/21. Das war mit ein Grund
für seinen Rücktritt nach weit über 200 Pflichtspielen im Dress des EHC Chur.
Sarkis nennt aber auch berufliche Gründe und weist darauf hin, dass «der
Aufwand in der dritthöchsten Schweizer Spielklasse immer grösser wird». Und
dann ist da noch sein Sohn. Acht Monate alt ist dieser. «Ich will mir mehr Zeit
nehmen für ihn», sagt Papa Sarkis. Vielleicht gibt es für seinen Rücktritt im
Alter von erst 30 Jahren auch noch einen anderen Grund. Chur verfügte zuletzt
gleich über drei hervorragende Torhüter. In den acht Meisterschaftsspielen, die
in der Saison 2020/21 bis zum corona-bedingten Abbruch ausgetragen werden
konnten, stand Sarkis nur noch zweimal zwischen den Pfosten – beim 6:4-Sieg in
Seewen und bei der 1:5-Auswärtsniederlage gegen Basel.
Weil der
MSL-Meisterschaftsbetrieb in der laufenden Saison nicht mehr aufgenommen wird,
kann Sarkis auch nicht – wie er es verdienen würde – würdig verabschiedet
werden. Sarkis wird dem EHC Chur zweifellos fehlen – als Spieler, aber auch als
Mensch. Er selbst dürfte die vielen coolen Geschichten, die in der Kabine
geschrieben wurden, vermissen. «Wir hatten stets ein Team, das harmonierte.
Immer wurde darauf geachtet, dass eine Mannschaft mit guten Typen geformt wird,
die zusammenhält. Das war so.» Trotzdem ist nun Schluss, «und ich lasse es
offen, ob ich mir in Zukunft Spiele im Thomas-Domenig-Stadion ansehe», sagt
Sarkis. Er fügt aber gleich bei: «Jetzt ist Februar. Wer weiss schon, was im
August oder September sein wird. Wir werden sehen, ob es mich plötzlich nicht
wieder kitzelt.» Letzteres könnte auch so verstanden werden, dass selbst ein
Comeback nicht ausgeschlossen ist. Doch im Moment hat für Sarkis die Familie
Priorität.
Den Zeitungsartikel
kann unter Download angeschaut werden.
